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Alle Tassen im Schrank oder alles auf den Tisch? Predigt zum Sonntag Estomihi

Alle Tassen im Schrank oder alles auf den Tisch? Predigt zum Sonntag Estomihi

Alle Tassen im Schrank oder alles auf den Tisch? Predigt zum Sonntag Estomihi

# D | Predigten

Alle Tassen im Schrank oder alles auf den Tisch? Predigt zum Sonntag Estomihi

Marta hat nicht mehr alle Tassen im Schrank, liebe Gemeinde. Marta hat alle Hände voll zu tun. Da sitzt der Hoffnungsträger bei ihr in der Küche. Dem muss sie etwas vorsetzen. Anständig auftischen. Das gebietet die Gastfreundschaft. Marta hat das im Blick und die Lage im Griff. Schränke, Türen aufgerissen, alles auf den Tisch. Mit vollen Händen und aus vollem Herzen bewirten. Dabei unauffällig mit dem Fuß beiseiteschieben, was im Weg liegt. Wer kann ahnen, dass er ausgerechnet zu ihr kommt? Ihr Tag war anders geplant. Der Besuch bringt alles durcheinander. Marta wirbelt, dass sie kaum weiß, wo ihr der Kopf steht. Natürlich hat sie nicht mehr alle Becher auf dem Regal. Die muss sie spülen. Der Gast ist doch König.  

Haben wir noch alle Tassen im Schrank? Die Wahl ist gelaufen. Heute stehen keine Wahlkampfhelfer:innen mehr überraschend vor unseren Türen oder in Fußgängerzonen. Der Spitzenkandidat, der letzte Woche an Küchentischen platznahm, muss seinen Sitz räumen. Die Kanzlerkandidatin, mit der niemand reden wollte, säße gern mit am Tisch. Wohin geht die Reise? Sondierungsgespräche werden geführt. In Hinterzimmern und Gasthäusern, vielleicht auch an Küchentischen. Einige haben schon den vollen Durchblick. Alles muss auf den Tisch. Da wird viel gewirbelt, organisiert, geplant, improvisiert. Was ist jetzt dran? Was tut not?

Reise nach Jerusalem, wir gehen 2000 Jahre zurück. Wer hat wo seinen Platz? Wer sitzt zwischen den Stühlen? Der Blick in die Vergangenheit hilft, um gestärkt in die Zukunft zu gehen. Hören wir, was nottut: Als Jesus mit seinen Jüngern weiterzog, kam er in ein Dorf. Dort nahm ihn eine Frau als Gast bei sich auf. Ihr Name war Marta. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Die setzte sich zu Füßen des Herrn nieder und hörte ihm zu. Aber Marta war ganz davon in Anspruch genommen, sie zu bewirten.

Alles offen. Noch ist nicht ausgemacht, wer beim Volk am besten ankommt damals in Jerusalem. Jesus ist unterwegs dorthin. Er weiß, welche Kandidatenkür ihn dort erwartet. Weiß, dass er für ein Amt zur Verfügung stehen wird, dass er nicht selbst gewählt hat. Für die einen ist er Heilsbringer, für die anderen Hassobjekt. Bald wird er bespuckt, bepöbelt und geschlagen. Doch noch ist der Weg nach Golgatha weit. Er ist erst am Anfang, als er einkehrt bei den beiden Frauen. Vor der Tür steht. Am Küchentisch sitzt möglicherweise. Welche Unterstützung erhofft er sich? Was tut ihm gut?

Jetzt geht es zur Sache. Marta sorgt dafür, dass es Jesus an nichts fehlt. Maria, die Schwester, steht zum Gespräch zur Verfügung. Was bemerkenswert ist: Beide Aufgaben stehen dem männlichen Hausvorstand zu in dieser Zeit! Marta und Maria sind nicht bloß dienstbare Geister und schmückendes Beiwerk. Beide begegnen Jesus auf Augenhöhe. Lukas, der Evangelist, schreibt das als Tatsache und normalste Sache der Welt. Er hat Frauen besonders im Blick. Aber nicht nur Frauen finden sich wieder in dem, was er von Marta erzählt. Wie sie wirbelt, wie sie macht, wie sie tut, sich in kürzester Zeit um alles gleichzeitig kümmert. Marta macht sich viel zu schaffen, übersetzt Luther. Sie ist vollkommen in Anspruch genommen von dem, was Gastfreundschaft verlangt. Hat alle Hände voll zu tun, kommt kaum zum Luftholen, macht sich verrückt. Bis ihr der Kragen platzt, weil Maria einfach nur dasitzt. Schließlich stellte sie sich vor Jesus hin, heißt es in der Bibel, und sagte: »Herr, macht es dir nichts aus, dass meine Schwester mich alles allein machen lässt? Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll!«

Für Marta muss das Äußere stimmen, für Maria das Innere. Marta will geben und dienen und schenken, Maria nehmen und hören und sich beschenken lassen. Gutes wollen sie beide. Wir erfahren nicht, ob sie allein waren mit Jesus, oder ob nicht Freunde und Begleiter Jesu mit in ihr Haus eingekehrt sind. Das würde das Verstehen erleichtern. Da wäre Martas Mühe für ein großes Gastmahl begründet und das Empörende an Marias Wunsch, bei den Tischgesprächen der Männer dabei zu sein. Doch der Fokus liegt allein auf Jesus und den beiden Schwestern. Aber der Herr antwortete: »Marta, Marta! Du bist so besorgt und machst dir Gedanken um so vieles. Eines aber ist notwendig: Maria hat das gute Teil gewählt, das wird ihr niemand mehr wegnehmen.«

Was ist not? Worum geht es? Marta, Marta, sagt Jesus. Nennt die Dinge beim Namen, aber zuvor nennt er Marta beim Namen. Das kommt nicht oft vor. Nur wenige Menschen nennt Jesus namentlich. Und wenn, dann nur einmal. Darum bekommt dieser Name hier so einen besonderen, warmen, persönlichen Klang. Marta, Marta, du machst dir so viele Gedanken und Sorgen. Martas Tun, ihre Besorgnis werden nicht abgewertet. Das zeigt der Kontext der Geschichte, die nicht ohne Grund in der Bibel fast unmittelbar auf den barmherzigen Samariter folgt. Zupackendes Handeln, das Notwendige und Notwendende zu tun, das ist gut und richtig und wichtig. Aber Marta droht hier, sich in ihren Aufgaben komplett zu verzetteln und sich selbst zu verlieren. Das sieht Jesus. Da ruft er sie heraus. Weil eben Vertrauen genauso wichtig ist wie sich Sorgen und Gedanken machen. Und weil Maria in all dem Vielen das Eine, das hörende Vertrauen, das Zuhören, das Innehalten gewählt hat.

Eins aber ist not, sagt Jesus, und Maria hat das Momentum gespürt und ergriffen: Die heilsame Unterbrechung des Alltäglichen. Marias Stillsitzen ist Aufatmen und Innehalten, um die eigene Mitte wieder zu spüren und neu in den Blick zu nehmen, was wirklich wichtig ist. Es geht um ein Atemholen mitten im Umgetriebensein.

Und dieses Atemholen, diese Stillwerden, das täte uns gut nach all dem hektischen Aktionismus, nach hitzigen Diskussionen an Küchentischen und in Stammkneipen, in Fernsehduellen, Quadrellen, Oktellen (ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt!) nach all den Abgrenzungen und Zuschreibungen, nach Demonstrationen, Diskussionen, zu vielen Emotionen. Die Kandidat:innen haben sich nichts geschenkt in diesem Wahlkampf, und die aufgeheizte Stimmung war bis in Familien und Freundeskreise hinein zu spüren.

Was tut jetzt not? Vielleicht genau das: Innehalten. Die Tassen aus dem Schrank holen. Sich an einen Tisch setzen. Und dann einfach zuhören. Erst einmal zusammen nur still sein und gemeinsam nachdenken. Nicht gleich Lösungen suchen (oder haben!), sondern zusammen innehalten und fragen, was der Sache dient. Was dem Land, der Stadt, der Gemeinschaft dient. Und wem wir dienen.

Maria erkennt in Jesus den Kyrios, den Heiland, der auf dem Weg ist nach Jerusalem, auf dem Weg in das Leiden. Jesus geht auf die Passion zu. Das ganze Evangelium läuft hinaus auf die große Unterbrechung des Weltgeschehens schlechthin. Maria spürt, welche Unterbrechung guttut. Auch Marta erkennt. Sie redet Jesus mit eben diesem Wort an. Sie nennt ihn Herr, Kyrios. Maria aber handelt auch entsprechend. Sie dient nicht ihm mit viel Mühe, sondern nimmt seinen Dienst für sich an und hört ihm zu. So als wüsste sie, was Jesus wenig später zu einer anderen Frau sagt: Selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren (Lk. 11, 28). Maria tut das Unerwartete. Sie steigt aus. Sie steigt aus aus dem gewohnten Alltag. Sie hält sich nicht an das, was von ihr erwartet wird – und tut damit genau das, was Jesus von ihr erwartet. Das darf sie, weil es das ist, was Gott immer wieder von uns erwartet. Innenhalten. Innehalten und wissen: Es ist für alles gesorgt. Bei aller Ungewissheit und Sorge: Es wird regiert.

Es wird regiert, hat Karl Barth, ein kluger Theologe, schon in den 60er Jahren am Vorabend seines Todes formuliert: „Ja, die Welt ist dunkel“, sagt er. „Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her! Gott sitzt im Regimente! Darum fürchte ich mich nicht. Gott lässt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns! – Es wird regiert!“

Es gibt viel zu tun. Alle Hände voll zu tun. Aber bevor wir anpacken, holen wir die Tassen raus, die Kaffeebecher, die Weingläser. Setzen wir uns zusammen. Alle an einen Tisch. Hören wir hin. Hören wir zu. Mit offenen Ohren und Herzen. Das tut not. Wir haben die Wahl, was wir für richtig und wichtig und notwendig halten. Weil Gott uns erwählt hat. Gott hat sein Kreuz für uns längst gemacht.

 Amen

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