26/09/2024 0 Kommentare
Theaterpredigt: Effi, Ach, Effi Briest
Theaterpredigt: Effi, Ach, Effi Briest
# A | Predigten

Theaterpredigt: Effi, Ach, Effi Briest
Predigt zu Effi, Ach, Effi Briest
Frei nach Theodor Fontane von Moritz Franz Beichl
Am Sonntag, dem 02. Advent, 10. Dezember 2023 mit Pastorin Nicola Nehmzow
Lk 21,25ff
Der Vorhang im Theater öffnet sich. Wir sehen ein Karussell. Es ist pink. Es dreht sich. Auf den Figuren drei Männer, eine Frau; dazu in der Mitte Effi.
„Alles, alles muss sich ändern“, lässt Moritz Franz Beichl seine Effi sagen. Effi, ach, Effi Briest. Frei nach Fontane, frei von Fontane, mit fast keinem Satz von Fontane, wer braucht schon Fontane, wenn man Effi hat? Effi, Effi, Ach Effi, Ach, Ach.
Moritz Beichl überträgt den 1895 erschienenen Roman Theodor Fontanes in die heutige Zeit. Er hält sich ziemlich genau an die Handlung der Vorlage, akzentuiert, konzentriert und bietet dann am Ende eine Auflösung, die sich von der Fontanes unterscheidet.
Nein, wir leben nicht mehr in der wilhelminischen Ära, in der es darum geht eine gute Partie zu machen und 17jährige von ihren Eltern verheiratet werden- zumindest nicht in der westlichen Welt.
Bei Moritz Beichl entscheidet sich Effi selbst. Aber frei ist ihre Entscheidung gleichwohl nicht. Alles muss sich ändern, so fordert sie; und bedient doch ein Rollenklischee, das traditioneller kaum sein könnte. Sie ist eine Gefangene der Erwartungen, allen voran ihrer eigenen.
„Ich habe mir das alles ganz anders vorgestellt“, resümiert sie. Da liegt ihr kurzes Leben schon fast hinter ihr: eine unglückliche Ehe, die Scheidung, der Verlust des Sorgerechts für ihre Tochter, der Abbruch der Beziehung durch ihre Eltern.
Man könnte meinen, das Theater Lübeck bringt eine Tragödie auf die Bühne. Doch die Figuren sind so überzeichnet, dass dort knapp zwei Stunden bester Theaterspaß zu erleben ist. Einschließlich der Fähigkeit über sich selbst und unser Leben zu lachen. Dabei erleben wir nicht nur die Frauen, Effi und ihre Mutter gefangen in weiblichen Klischeevorstellungen. Auch die drei Männer Vater Briest, Baron von Instetten und Major Crampas verkörpern armselige Vertreter des- wie Effi es ausdrückt- Penis tragenden Geschlechts. Effi Vater bleibt stumm, er redet einfach nicht, obwohl doch mit ihm geredet wird. Und das zieht sich durch bis fast zum Ende. Und Instetten ist- noch einmal anders als Crampas- bemitleidenswert einsam. Das Gespräch, das Instetten und Effi führen ist nicht wirklich ein solches. Instetten deklamiert über seinen Wohnort Kessin, in dem er mit Effi leben möchte, über Straßennamen und Wohnviertel und Straßen, die nicht zum Wohnviertel passen. Kessin ist wenig spannend, das findet auch Instetten selbst. Aber das vor Effi so detailliert aussprechen zu können, das ist für ihn das beste Gespräch, das er seit langem geführt hat. Er merkt einfach nicht, wie sehr er Effi langweilt, überhört ihre Entgegnungen, die dem Gespräch eine andere Wendung zu geben versuchen. Schon Fontane beschreibt Instetten als einen Menschen, der nur seine Karriere im Kopf hat und unfähig ist, eine wirkliche Beziehung zu führen.
Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. Das Karussell anhalten. Eigentlich dreht es sich nur langsam. Aber Effi selbst ist ruhelos und gehetzt. Sie hat keinen Moment der Ruhe, rast durch ihr Leben ohne die Fähigkeit, auch nur einen Moment innezuhalten, Entscheidungen zu reflektieren. Einmal Pause machen, durchatmen- das gibt es für sie nicht. Auch wenn nur wenige des Premierenpublikums 17 wie Effi waren, diese Ruhelosigkeit beschreibt Leben, so wie viele es heute empfunden.
Und dann feiern wir Advent. Wir warten. Wir halten an. Gott kommt uns entgegen. Nicht wir machen- Gott macht. Wir geben unserer Sehnsucht Raum. Dass Erlösung geschieht; Befreiung. Dass es Hoffnung gibt, begründete Hoffnung- für mich, für diese Welt. Aber mit dieser Sehnsucht spüren wir auch den Schmerz über unser Leben, das an so vielen Stellen verwundet und brüchig ist. Was ist passiert vom: Siehe es war sehr gut, das über unserem Leben steht, und einer Welt heute, die auf so vielen Ebenen kaputt ist? Gott hat es doch gut gemeint mit uns, mit der Schöpfung.
Zweimal berichtet die Bibel davon, wie alles begann. Die Geschichten stammen aus unterschiedlichen Zeiten und verschiedenen Lebenssituationen. Aber einig sind sich beide: Mensch sein heißt, in Beziehung sein. Keiner kann für sich allein existieren. Der Mensch braucht eine Hilfe, die ihm entspricht. Es mutet fast archaisch an, wie der eine Mensch zu zweien geteilt wird- genau an der Stelle, wo das Gefühl beheimatet ist: das Herz. Innig und unverstellt sind beide miteinander verbunden. Erst mit der Gier und dem Unfrieden kommt die Scham und das Versteckspiel voreinander und vor Gott.
Der andere Bericht akzentuiert: im Menschen begegnet uns etwas Göttliches, ja Gott selbst bildet sich im Menschen ab. Und erst in der Gemeinschaft der Verschiedenen wird der Mensch vollständig. So sehr sich Gott unseren Kategorien von Zeit und Raum entzieht- unser Leben braucht Ordnungen und Muster. Wir brauchen Begriffen, um uns zu sortieren, um die Vielfalt fassen zu können. Die Welt ist kein Chaos. Es gibt Strukturen, die uns Halt geben. Alles hat Gott weise geordnet, so sagt es Psalm 104. Wie wir unser Leben ordnen, das ist immer auch zeitabhängig. Und immer geht es auch darum, diese Ordnungen zu überprüfen: sind sie sinnvoll und helfen sie oder engen sie ein? Gestalten oder verhindern sie Leben? Ordnungen sind für die Menschen, nicht Menschen für Ordnungen geschaffen, betont Jesus. Wir erleben heute besonders junge Menschen, die die Einteilung in Mann und Frau in Frage stellen. Männlich und weiblich- vermögen diese beiden allein die Vielfalt zu fassen? Gibt es nicht mehr?
Mann und Frau. Für Menschen Jahrhunderte lang eine Einteilung, die Klarheit und Struktur gab. Eine Festschreibung, die immer auch hinterfragt wurde und wird? Was heißt es, männlich, was heißt es, weiblich zu sein? Moritz Beichl findet eine Antwort, indem er alle Rollen mit männlichen Schauspielern besetzt. Es ist seine Antwort, oder sein Versuch einer Antwort. Er inszeniert als queerer Mann in Wien und lässt Effi nicht zu den Eltern zurückkehren, die ihre elterliche Liebe schließlich über gesellschaftliche Normen stellen, so wie es Fontane vorsieht. Bei Beichl bleiben Effi und das Kindermädchen Roswitha als letzte Vertraute beisammen. Freundschaft zwischen Frauen als vorbildliche Beziehung? Da habe ich so meine Fragen…
In Lübeck wird das Stück durch ein Team junger Frauen auf die Bühne gebracht. Das Immer- Noch einer patriarchal geprägten Gesellschaft, die Stereotypen von Frau und Mann und die Kommentierung durch das Kindermädchen Roswitha problematisieren- ohne eine wirkliche Lösung aufzuzeigen.
Wir warten auf Erlösung- auch aus unbeantworteten Fragen; auch aus Ruhelosigkeit. Wir warten darauf, dass Gott uns die Augen öffnet für das Leben, so wie es ursprünglich gemeint ist. Und Gott kommt, indem Gott selbst Mensch wird. Indem er mit uns geht- als Mensch. Im Stall von Bethlehem beantwortet Gott unsere Fragen, indem er sie lebt. Im Stall von Bethlehem werden wir neu geboren. Noch einmal wird unser Leben auf Anfang gestellt. Alles, alles muss sich ändern. Ja. Weil alles schon da ist, Mit Irrungen und Wirrungen. Mit Staunen und Verletzlich-Sein. Mit Sehnsucht und Beziehung, Gemeinschaft und Beheimatung. Alles muss sich ändern. Gott ist da. Das Leben beginnt.
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