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Das Fürchten lernen - Predigt von Vikar Per Olsen zum 4. Sonntag vor der Passionszeit

Das Fürchten lernen - Predigt von Vikar Per Olsen zum 4. Sonntag vor der Passionszeit

Das Fürchten lernen - Predigt von Vikar Per Olsen zum 4. Sonntag vor der Passionszeit

# D | Predigten

Das Fürchten lernen - Predigt von Vikar Per Olsen zum 4. Sonntag vor der Passionszeit

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde, „es gruselt mir!“ – Solch ein Gefühl mag auch den einen oder anderen von in den vergangenen zwei Wochen erfasst haben, wenn man auf die Geschehnisse in unserem Land blickt. Doch der Ausspruch – „es gruselt mir“ – soll hier nicht als eine Meinungsäußerung verstanden werden, es handelt sich vielmehr um ein Zitat aus einem Märchen der Gebrüder Grimm: Von einem der Auszog, das Fürchten zu lernen.

In diesem Märchen geht es um einen Vater, der zwei Söhne hat. Der ältere ist klug, tüchtig und erfolgreich, der jüngere erscheint auf den ersten Blick etwas einfältig und ungeschickt. Da ist aber noch etwas, dass den jüngeren Sohn auszeichnet: Es gruselt ihn nichts. Immer wenn Menschen um ihn herum sich vor etwas fürchten, kann er diese Furcht nicht nachvollziehen – geschweige denn nachempfinden. Er hält diese Angst für eine Kunst, die er nicht versteht, er aber lernen will. Und so zieht er aus, um das Fürchten zu lernen. Auf seiner Reise begegnet er gruseligen Gestalten – Gespenster, Untote und ein bedrohliches Monster – die versuchen ihn zu ängstigen. Doch nichts davon beeindruckt ihn.

Dieses vermeintliche Defizit entwickelt sich Verlauf der Geschichte zum Vorteil des jüngeren Sohnes. Seine Furchtlosigkeit beschert ihm einen riesigen Goldschatz, eine Prinzessin und sogar ein ganzes Königreich! Nur das Gruseln lernt er nicht – egal, wie brenzlig und furchterregend die Situation auch sein mag.

Auch die Jünger Jesu erleben eine ähnliche brenzlige Situation, reagieren jedoch ganz anders – ganz menschlich. Sie fahren mit Jesus auf den See, als plötzlich ein Sturm aufzieht. Der Sturm wird heftiger, Wellen schlagen in das Boot. Mitten im tobenden Sturm eilen sie zu Jesus, der hinten im Boot schläft, wecken ihn und rufen: „Meister, kümmert es dich nicht, dass wir umkommen?“ Jesus wacht auf, stillt den Sturm und wendet sich im Anschluss an seine Jünger mit einer in meinen Ohren irritierenden Frage: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“

Mich irritiert die Aussage beider Geschichten, mehr noch, sie ärgert mich auch: Soll etwa die einfältige Furchtlosigkeit im Märchen ein Vorbild für uns sein? Ist blindes Vertrauen, dass in den stürmischen Momenten unseres Lebens alles gut wird, das, was Jesus von uns einfordert? Wie kann er seinen Jüngern den Vorwurf machen, dass sie noch keinen Glauben haben? Angst ist schließlich in jedem von uns angelegt und  sie ist überlebenswichtig, denn sie schützt vor Gefahren.

Ich glaube nicht, dass es Jesus um die Angst als solche geht, sondern vielmehr um den Umgang seiner Jünger mit ihrer Angst. Die Jünger haben bereits resigniert, als sie sich an Jesus wenden: „Meister, kümmert es dich nicht, dass wir umkommen?“ Aus dieser Frage kann man in der Tat eine gewisse Resignation entnehmen – das Vertrauen darauf, dass Jesus sie alle unbeschadet aus dieser Situation herausholt scheint nicht gegeben. Die Gefahr mag real sein und die Angst vor einer realen Gefahr ist auch nicht verkehrt, der Umgang mit der eigenen Angst kann aber zu einem Problem werden.

Panische Angst kann schnell zu panischem Aktionismus führen und dann wird mal eben „im großen Stil abgeschoben!“ Eine einzelne Tat, die Angst in mir auslöst, kann durch Wut kompensiert werden und dann wird aus der Tat eines Einzelnen der Hass auf alles Fremde. Die Angst vor dem Klimawandel und seinen Auswirkungen wird dann einfach mal ausgeblendet, heruntergespielt und relativiert – am Ende gibt’s diese Gefahr gar nicht. Was es in unseren Tagen in jedem Fall gibt sind Menschen, die sich der Angst bedienen, um uns zu erschrecken, misstrauen zu säen und uns zu spalten. Dabei ist völlig klar, dass zu viel Angst einen Menschen und eine ganze Gesellschaft hemmen und sie unfrei machen kann. Nicht die Angst als solche ist ein Problem – sondern unser Umgang und die Ausmaße, die Angst in unserem Leben einnimmt. Und in diese Angst hinein spricht nun der, dem Wind und Wellen gehorchen: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“

In der Darstellung des Markusevangeliums ignoriert Jesus die Angst seiner Jünger nicht. Und anders als in den anderen Evangelien, spielt Angst eine sehr zentrale Rolle im Markus Evangelium. Auf viele Zeichen und Wunder Jesu reagieren die Jünger zunächst einmal nicht mit Jubel, sondern mit Furcht. Auch als die Anhängerinnen Jesu das leere Grab sehen, fürchten sie sich und laufen erst einmal panisch davon. Erst mit der Zeit begreifen sie, wer Jesus eigentlich ist und wie er ihr Leben verändert: „Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!“ Ein Lernprozess, den die Nachfolger Jesu hier durchlaufen – die Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten und Gedanken. Und dann sind die Jünger dem jüngeren Sohn aus dem Märchen gar nicht mehr so weit entfernt, auch sie ziehen mit diesem Jesus weiter – auch sie ziehen aus, das Fürchten zu lernen.

Und wir? Ziehen wir mit? Machen wir uns auch auf den weiten, manchmal steinigen Weg, das Fürchten zu lernen? Ich bin überzeugt davon, dass auch wir in der Nachfolge das Fürchten immer wieder neu lernen müssen. Lernen, das auszusprechen, was uns Angst macht – von Mensch zu Mensch, von Mensch zu Gott. Lasst uns über unsere Ängste ins Gespräch kommen, geduldig, liebevoll miteinander, sie versachlichen und abbauen. Lasst uns nicht aufhören, unsere Ängste vor Gott zu bringen, in der Hoffnung, dass er sich ihrer annimmt.

Dieser Gott hat versprochen, uns in den Stürmen unseres Lebens nicht alleine zu lassen und hierfür ist uns ein Zeichen gegeben, dass wir sogar in unserem Märchen wiederfinden:  Der jüngere Sohn lernt schließlich doch das Fürchten und zwar in dem Moment, in dem ihm seine Prinzessin einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf schüttet. Der Schock des kalten Wassers weckt ihn, es schaudert ihm und es öffnet ihm die Augen: „Nun weiß ich, was Gruseln ist!“ Irgendwie nett, dieses Ende – so gar nicht gefährlich. Ich kann den Schreckmoment des jungen Mannes gut nachvollziehen.

Auch unsere Bewältigung von Angst hat etwas mit Wasser zu tun. In der Taufe hat Gott uns nämlich etwas zugesprochen: Wir sind seine geliebten Kinder, an denen er Wohlgefallen hat. Die Taufe ist ein starkes, tröstliches Zeichen der Zugehörigkeit zu Gott und seiner unerschütterlichen Liebe – auch und gerade in stürmischen Zeiten. In diesem Bewusstsein dürfen auch wir immer wieder neu das Fürchten lernen und gleichzeitig durch unsere Taufe wissen, wem wir unsere Ängste anvertrauen können. Amen.

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