24/12/2024 0 Kommentare
Das Licht ist da. Predigt in der Christnacht
Das Licht ist da. Predigt in der Christnacht
# D | Predigten
Das Licht ist da. Predigt in der Christnacht
„Warum haben Sie keine Puppe?“ Alle Jahre wieder kommt diese Frage. Nicht von Kindern, sondern von Erwachsenen, liebe Christnachtgemeinde. Zwei, drei, vier Menschen fragen das Jahr für Jahr am Heiligabend. „Warum keine Puppe im Dom? Warum in der Krippe die Kerze?“ Kindern leuchtet das ein: Spielzeug ist Spielzeug. Puppen sind zum Spielen da. Vater-Mutter-Kind, waschen, füttern, anziehen, zur Krippe oder Kita bringen, Mama muss schnell zur Arbeit. Aber heilige Familie, Maria, Josef mit Jesus aus Plastik? Das passt nicht. Puppe bleibt Puppe, eine Kerze bringt Licht. Leuchtet, wärmt. Muss gehütet werden. Ist kostbar, geheimnisvoll. Hinzu kommt: Hier im Dom führen Konfis das Krippenspiel auf. 13- bis 15-Jährige. Mit einer Babypuppe im Arm würde niemand Maria sein. Aber der Engel, der die Kerze anzündet in der Krippe, ist jedes Jahr die beliebteste Rolle. Wir hatten schon Krippenspiele, bei denen wir bangen mussten, ob es einen Josef gibt. Ohne Engel waren wir nie. Der Welt Frieden verkünden, das Licht leuchten lassen und weitergeben, das möchten alle Jugendlichen.
Warum steht hier bloß eine Kerze in der Krippe? In diesem Jahr hat mir niemand die Frage gestellt. Weil sie sich nicht stellt in diesem Jahr. Weil viele Kerzen in Fenstern leuchten, auf Lichteraltären in Kirchen, im Instagram-Feed. Weil fraglos klar ist: Wir brauchen kleine Hoffnungsflammen in der Unsicherheit. Wo ich am Ende bin mit meiner Friedenssehnsucht, wo gar nichts mehr geht, ist das ein Anfang. Ich bin traurig, wütend, hilflos, weiß nicht, was ich tun soll. Das aber kann ich: Eine Kerze anzünden und damit die Welt, meine kleine und die große da draußen, ein bisschen heller machen, wärmer. Menschlicher und göttlicher.
Darum Kerze statt Puppe am Heiligabend. Kein So-tun-als-ob, kein Mehr-Schein-als-Sein in der Krippe. Licht als Zeichen für das Kind, das in Bethlehem geboren wird wohl zu der halben Nacht. Licht für die Welt. Das Licht der Krippenkerze ist – wie alle Kerzen heute im Dom – entzündet an der Flamme des Friedenslichts aus Bethlehem, aus der Geburtsgrotte. Ein kleiner Anfang von etwas Großem. Das Licht ist in der Welt, und dieses Licht bleibt. Das Friedenslicht brennt weiter, wenn wir alle, du und ich und Sie, lange schon schlafen, gut gesichert in der alten Laterne. Ein winziges Leuchten im dunklen Dom, in vielen Häusern und Kirchen. Etwas, das weitergeht und weitergegeben wird, von Hand zu Hand, jedes Jahr vom 3. Advent an in aller Welt.
Dieses Licht ist ein Anfang. Du musst nichts mitbringen zur Krippe. Du musst nicht alles zu Ende denken. Du musst heute nicht fertig werden. Du bist da. Das genügt. Das Licht leuchtet für dich und für mich in dieser stillen und Heiligen Nacht. Es leuchtet Verzagten, Verletzten, Verwundeten. Es scheint Nachtschwärmern und Tagträumerinnen, den Verliebten wie den Verzweifelten, den Gestressten und den Gescheiterten. Es scheint denen, die sich nicht in glänzende Kirchen trauen, sondern lieber in stillen Stuben oder draußen auf der Straße bleiben. Mit dem Glanz der Ampeln und Laternen leuchtet es ihnen regennass und tränenfeucht ihren Weg. Auch das ist das Wunder der stillen Heiligen Nacht: Sie ist nicht reserviert für die Fertigen mit Vorzeigefamilien, geputzten Wohnungen und perfekten Christbäumen. Natürlich leuchtet das Licht auch für die. Aber das Geheimnis die-ser Nacht gilt den Wütenden, den Einsamen, den Enttäuschten, den Übermüdeten und den Trauernden. Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit, bringt die Bibel die ganze Geschichte vom Christkind, von Ostern und Weihnachten zusammen in einem Satz.
Diese Nacht ist ein Anfang. Groß ist ihr Geheimnis. Ein trautes hochheilige Paar in fremder Umgebung. Ein Kind, zur Welt gebracht ohne Hebamme in einer Notunterkunft. War es so? Mutter und Kind wohlauf und wohl samt Vater zutiefst erschöpft? Nächte mit Neugeborenen sind nicht traulich und hold. Sind sie auch, und heilig obendrein, aber im minütlichen Wechsel mit Angst, Anspannung, vollen Windeln, unerklärlichem Bauchweh, Stillproblemen und Schlafentzug. Und doch über allem das Geheimnis des Neuanfangs und die Ahnung, das mit diesem Kind nicht nur für die Eltern eine neue Zeit beginnt. Ein Wunder aus Fleisch und Blut mit Händen und Füßen. Ein Kind dieser Welt und vom Himmel, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.
Mitten in der Nacht liegt dieser Anfang. Das gehört zu dem leuchtenden Wunder. Gott wird Mensch nicht am helllichten Tag, sondern in der dunkelsten Stunde. Weihnachten ist ein Nacht-Fest, das sagt schon sein Name. Es gibt viele Fest- und Gedenktage, aber das Christfest feiert die Nacht. „Ich finde es sehr schön, dass so die Nacht gefeiert und geehrt wird“, sagt der Theologie Klaus-Peter Hertzsch. „Dass dem Tag die Nacht folgt, gehört zu den gnädigsten Gaben Gottes, und nur darum sind viele Tage überhaupt durchzustehen, weil sie endlich von der Nacht abgelöst und zur Ruhe gebracht werden.“ Nacht ist Erholung, Traum und Sterne, bringt Stille und neue Kraft. Die meisten Kinder kommen nachts zur Welt, die meisten Menschen sterben in der Nacht. Nachts sind aber auch Schmerzen stärker, nachts spürst du, wie allein du bist. Alle Fragen und Sorgen wachsen nachts ins Riesenhafte. Die Nacht ist die Zeit der Fragen von Leben und Tod. Wer wüsste das besser als die Hirten, die jede Nacht Wache halten müssen? In einem alten Gebet heißt es: „Gott, bleibe bei uns, wenn über uns kommt die Nacht der Trübsal und Angst, die Nacht des Zweifels und der Anfechtung, die Nacht des bitteren Todes.“ Die Nacht vor vier Tagen war finsterster Abgrund für mehr als 200 Familien. Nacht mit Blaulicht, mit Verletzten, mit Toten. Nächte können unendlich sein, eiskalt, schwarz wie der Tod. Wer sich einmal schwer krank, mit Todesangst oder Liebeskummer durch eine Nacht gekämpft hat, weiß, wie sehr man das Ende der Nacht und den Anbruch des neuen Morgens ersehnt.
Diese Nacht ist besonders: Mitten in der Nacht die Klarheit des Herrn. Mitten in der Nacht unbeschreibliches Leuchten. Mitten im kältesten, dunkelsten Grauen der Anfang von unfassbar Neuem. Das ist der nächtliche Weihnachtszuspruch, an den ich mich klammere nach dem Advent der düsteren Nachrichten: Das Licht ist da. Die Flamme leuchtet. Jetzt. Hier. In der dunkelsten Stunde. Das Geheimnis dieser Heiligen Nacht, das Wunder von Weihnachten kommt nicht erst mit dem neuen Morgen, nicht am lichten Tag. Gott kommt in der schwärzesten Zeit zur Welt. Und bleibt. Steht auch dir zur Seite, still und unerkannt. Alle Jahre wieder. Welt ging verloren, Christ wird geboren. Jetzt. Dir und mir. Allen.
Ja, es sieht oft ziemlich finster aus in der Welt, im Kleinen wie im Großen. Die Nacht ist verdammt lang und unfassbar dunkel. Aber es gibt viele Lichter der Hoffnung. Dass das Friedenslicht nicht in Bethlehem angezündet werden konnte, macht unendlich traurig. Nicht von einem Kind, nicht einmal von Soldaten wie im letzten Jahr. Darüber könnte man verzweifeln. Aber was für ein Zeichen eben auch das: Niemand musste auf das Friedenslicht verzichten in diesem Advent. Denn es gibt Menschen auf der Welt, die dieses Licht nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern jeden Tag und jede Nacht hüten. Das Friedenslicht für ganz Europa kam am 3. Advent aus einer Kirche, einer Gemeinde in Österreich, die das ganze Jahr über den Frieden zum Thema gemacht hat. Kinder und Jugendliche haben es verteilt, Pfadfinder:innen, alte und junge. Bis nach Kiew ist es gereist, nach Wien, Paris, Berlin, nach Magdeburg und zu uns in den Dom. Es sind viele, die Licht bringen und Kerzen entzünden. Eine Kette von Friedensboten und Lichtträgerinnen, in die wir uns heute mit einreihen. Das Licht der Krippe spiegelt sich in vielen Augen. Diese Nacht ist ein Anfang. Du bist da, wir sind da. Und: Gott ist da. Mehr braucht es nicht. Trag das Licht in die Welt. Fürchtet euch nicht.
Amen
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