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Klar und besonnen bleiben. Predigt von Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt zur Verklärung Jesu und zur aktuellen politischen Situation.

Klar und besonnen bleiben. Predigt von Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt zur Verklärung Jesu und zur aktuellen politischen Situation.

Klar und besonnen bleiben. Predigt von Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt zur Verklärung Jesu und zur aktuellen politischen Situation.

# D | Predigten

Klar und besonnen bleiben. Predigt von Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt zur Verklärung Jesu und zur aktuellen politischen Situation.

Was für eine Woche, ach was, was für Wochen liegen hinter uns. So viel Aufregung und Erregung im öffentlichen, im politischen Raum. Mit Amtsantritt des neuen US-Präsidenten sind für viele nun noch mehr Polarisierung und Unruhe, und noch mehr Ängste und Sorgen in der Welt. In unserem Land haben wir miterlebt, dass entgegen vorheriger anderer Vorschläge „am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD“ ermöglicht wurde. Das hielt nicht nur die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, deren Formulierung ich gerade zitiert habe, für falsch. Evangelische und katholische Kirche äußerten die Befürchtung, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nehme, wenn das politische Versprechen aufgegeben werde, keine Abstimmungen herbeizuführen, in der die Stimmen einer in Teilen rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Partei ausschlaggebend seien.

Dass es dazu gekommen ist, hat offensichtlich auch damit zu tun, dass es den demokratischen Parteien nicht gelungen ist, in der wichtigen Thematik der Migrationspolitik über Partei- und Meinungsgrenzen hinweg ein von allen getragenes Vorgehen gemeinsam zu verantworten. Eigentlich ein selbstverständliches Grundprinzip der politischen Arbeit in einem demokratischen Staat: Demokratische Parteien sind in der Lage, kluge Kompromisse zu finden, Interessen auszugleichen, auch in schwierigen Sachthemen. Und gemeinsam können und müssen sie sich für eine Gesellschaft einsetzen, in der Menschenwürde, Respekt und Schutz vor Diskriminierung im Zentrum stehen. Dass das möglich ist, wurde in der Geschichte unseres Landes immer wieder gezeigt - und davon brauchen wir wieder mehr auf allen politischen Ebenen - jetzt!

Neulich sagte mir eine Frau: „Ich bin es so leid.Die aufgewühlten Debatten machen mir Angst und Sorge. Am liebsten wäre ich einfach nur weg, im Dauerurlaub, oder fern von allem, ohne Nachrichten und Zeitungen. Abschalten, nichts mehr hören und sehen. Um irgendwie wieder klarer zu sehen.“ Abstand finden, durchatmen, wieder zu Sinnen kommen, und danach klarer sehen zu können - ich verstehe diesen Wunsch. Auch möchte in aller Aufregung und Emotionalität besonnen bleiben - und klaren Verstandes.

Um besonnen zu bleiben, hilft es mir, mich zu besinnen. So wie hier und heute im Gottesdienst: Gemeinsam singen und beten. Ruhe finden. Eine Atempause haben. Nicht allein sein mit und in all dem, was unruhig macht und mich beschäftigt, sondern Verbundenheit und Gemeinschaft erfahren. Segen spüren. Und: auf Worte hören, die neu ausrichten und Orientierung geben. Worte wie die des heutigen Evangeliums, die uns mitnehmen auf einen Weg durch Zeit und Raum.

„Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg.“ Einen Berg hinauf steigen, Schritt vor Schritt setzen. Ab und an eine Pause, einen Schluck Wasser. Je höher, desto stiller wird es. Der eigene Atem gibt den Rhythmus des Gehens vor. Und weiter. Höher und stiller, über die Baumgrenze, über die Wolkengrenze hinaus. Einsamkeit, Stille, klare Luft – eine mystische Welt. Und dann endlich oben ankommen, auf dem Gipfel, ausruhen, niedersitzen, Atem schöpfen. Sitzen und schauen. Sich einen Überblick verschaffen. Eine neue Ansicht bekommen. Vielleicht sogar neue Einsichten.

So geht es denen, die mit Jesus auf einen hohen Berg steigen. Und oben angekommen, erleben sie etwas merkwürdiges: „Und er wurde verklärt vor ihnen, heißt es,„und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Petrus, Jakobus, Johannes sehen Jesus lichtdurchflutet, sonnenhell – als wäre er kein Mensch, sondern ganz und gar Licht. Nicht ganz von dieser Welt, nicht ganz irdisch, nicht ganz himmlisch, auf der Grenze zwischen beidem. Verschwommen mag das erscheinen. Verklärt - ist das alte Wort dafür. Obwohl - was hier geschieht, macht etwas nicht unklar, sondern im Gegenteil: klarer. Die Jünger erhalten eine neue Sichtweise auf einen ihnen vertrauten Menschen. Und darin drückt sich zugleich eine neue innere Sicht, eine Ein-Sicht, eine Erkenntnis aus. Sie sehen Jesus zwischen Himmel und Erde. Sie sehen ihn als den, der den Tod überwinden wird. „Vorweggenommen in ein Haus aus Licht“, wie es die Dichterin Marie-Luise Kaschnitz in Worte fasst.

Und die Jünger sehen noch mehr: „Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia, die redeten mit ihnen. Mose und Elia sind im jüdischen Glauben zentrale Figuren der Hoffnung. Von Mose wird gesagt, er komme wieder am Ende aller Tage. Und die Wiederkehr Elias ist verbunden mit der Hoffnung auf eine Wiederherstellung des Volkes Israel in Frieden und Gerechtigkeit. Die Jünger sehen diese beiden zusammen mit Jesus, weil ihnen dort oben auf klaren Bergeshöhen deutlich wird, wer Jesus für sie ist: der Messias, der Retter, der Frieden, Gerechtigkeit und Bermherzigkeit bringt, das Reich Gottes für alle Zeit.

Was für eine überwältigende Erkenntnis - was für en eindrückliches Erlebnis! So eindrücklich, das Petrus sagt: „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Hier ist gut sein - ja, zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön! Und dann da oben bleiben, in diesem Licht, in dieser Klarheit, in göttlicher Gegenwart – da bleiben, ewig bleiben, verweilen in himmlischen Sphären, fern des anstrengenden und aufgewühlten Weltgeschehens, weit weg von persönlichen Sorgen. Fraglos und geborgen.

Aber dieser Wunsch nach dem Festhalten des Augenblicks und des Momentes göttlicher Gegenwart bringt einen Wandel mit sich. Eine lichte Wolke überschattet die Jünger auf dem Berg. „Und eine Stimme aus der Wolke sprach. Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören! Die Stimme aus den Wolken bestätigt die neue Sicht der Jünger: Ja, dieser Jesus ist Gottes Sohn, der erwartete, der erhoffte Messias, der Retter und Friedensbringer! Aber auch anderes wird klar: „Den sollt ihr hören! - das ist die Aufforderung zu tun, was jetzt an der Tagesordnung ist. Hören auf Jesu Worte - das meint auch: bleibt nicht in himmlischen Sphären, fernab vom Alltag, sondern nehmt Jesus hinein in euer tägliches Leben. Hört auf seine Worte und gestaltet euer Leben nach seinen Worten!

Die Jünger steigen wieder herunter vom Berg. Mit ihnen kehren auch wir wieder zurück in unseren Alltag.In unser Leben mit all seiner Schönheit, der schier unerschöpflichen Vielfalt, mit zuweilen kaum zu fassender Komplexität, mit Zweifel und Mehrdeutigkeiten, mit Fragen und Anstrengungen. Klarheit, Erkenntnis und himmlischer Glanz führen uns nicht aus dem Alltag hinaus. Sie sind keine Einladung, sich einer komplexen Wirklichkeit zu entziehen. Sie führen vielmehr mitten in diese hinein. Sie befreien nicht von Fragen und Sorgen, aber sie helfen mit und in ihnen dennoch orientiert zu leben, orientiert an Christus.

„Und als sie ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Darum geht es: Seht allein auf ihn - hört allein auf ihn - konzentriert euch auf ihn. Solus Christus - allein Christus - hat Martin Luther später gesagt. Denn an Christus orientiert lebt, wer sich nicht damit begnügt, seine Freunde freundlich und andere anders zu behandeln. An Christus orientiert lebt, wer sich nicht nur denen zuwendet, die sich ihm oder ihr zuwenden. An Christus orientiert leben wir aus der tiefen Gewissheit heraus, dass uns Gott liebt, der auch alle anderen liebt - obwohl diese ebenso wenig Anlass dafür bieten wie wir selbst. An Christus orientiert zu leben bedeutet deshalb auch: andere zu lieben als solche, die wissen, dass sie selbst und andere nicht immer liebenswert sind; sich anderen zuzuwenden als solche, die wissen, dass sie selbst und andere zum Abwenden sein können. Niemand muss so, an Christus orientiert, leben. Wer es aber tut, erlebt auch, dass das zuweilen nicht anders zu haben ist, denn als Einspruch gegen etwas, was sonst gängige Lebenspraxis oder von einer Mehrheit für richtig gehaltene Verhaltensweise ist.

Was tun und wie leben in aufwühlenden Zeiten? Wie klar und besonnen bleiben, wie klug entscheiden? Indem wir nicht vergessen: wir leben in Gottes Gegenwart, in der Gegenwart Christi. Im Abendmahl werden wir feiern, dass er mitten unter uns ist. Jetzt und hier und in jedem Leben an jedem Tag.

Was tun und wie leben in aufwühlenden Zeiten? Wie klar und besonnen bleiben, wie klug entscheiden? Indem wir uns an Christus orientieren und versuchen, immer wieder und immer mehr zum Spiegel seiner Liebe, seiner Barmherzigkeit, seiner Güte, seines Friedens zu werden.

Wir können das tun, weil Gott uns Menschen in sein Leben liebt, in ein Leben, aus dem wir durch nichts und niemanden, in uns und außer uns, herausfallen können. Das schenkt uns die ungeheure Freiheit, das zu tun, was der Liebe, der Barmherzigkeit und dem Frieden dient. Und alle sich dafür nur bietenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Oder ganz einfach mit Worten Martin Luthers gesagt: „Lerne, lerne, lerne freundlich zu sein und du hast unendliche Werke getan!“ Amen.

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