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Theaterpredigt zu Cabaret 23. Februar 2025

Theaterpredigt zu Cabaret 23. Februar 2025

Theaterpredigt zu Cabaret 23. Februar 2025

# A | Predigten

Theaterpredigt zu Cabaret 23. Februar 2025

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht Gott, 9 sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. 10 Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, 11 so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. 12 Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume auf dem Felde in die Hände klatschen. 

Jesaja 55,8-12

Gnade und Frieden von dem , der da ist und der da war und der da kommt.

Willkommen, Bienvenue, Welcome!

Ein junger Amerikaner folgt der Einladung des Conférenciers. Und ist das Leben nicht wirklich wunderschön? So, wie er verspricht? Zumindest im legendären Kit Kat Club? Grandiose Musik, erstklassige Tänzer:innen und Sally Bowles, die absolute Hauptattraktion.

Tatsächlich, Cliff, der junge Amerikaner und Sally werden ein Paar; und auch die ältere Vermieterin feiert Verlobung. Wie gut, einmal die Sorgen zuhause lassen zu können. Ja ist- kann?- das Leben nicht einfach wunderschön sein?

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, spricht Gott.

Ist es also Gott, der unserer Lebenslust einen Strich durch die Rechnung macht?

Aber das Leben ist eben gerade nicht wunderschön. Auch das grandiose Orchester kann nicht darüber hinwegtäuschen. Damals nicht. Und heute auch nicht. Der kurze Moment privaten Glücks zerbricht. Kaum merklich zunächst werden Bühnenbild und Kostüme brauner, und der rechte Arm reckt sich in die Höhe: Heil Hitler.

Eben kein Masel, kein Glück gehabt. Das Ende der Weimarer Republik, in der Cabaret spielt. Nie wieder ist jetzt- schon 1963 ruft der Produzent und Regisseur Herold Prince in den USA zur Wachsamkeit auf. Das, was damals geschehen ist, kann wieder passieren; er bezieht sich auf eine Parallele zwischen dem Judenhass der Nazis und dem Rassenhass in den USA: Ich wollte zeigen, sagt er, dass das, was damals in Berlin geschehen ist, hier und heute auch geschehen könnte.

Und in unserem Heute? Die Inszenierung am Theater Lübeck endet mit AFD- Blau und Zitaten aus deren Wahlprogramm.

Man mag über Unterschiede und Parallelen zwischen 1930 und 2025 streiten. Wie immer wir die Lage heute beurteilen- in diese Situation hinein ergeht Gottes Wort: Heute, wenn ihr Gottes Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht. Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert- der Hebräerbrief, entstanden in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts nach Christus und der Prophet Jesaja im 6. Jhd. v. Chr., der von dem unendlichen Abstand von Himmel und Erde spricht. Aber wo ist Gott? An welchem Ort lässt Gott sich heute finden? Steht Gott mit uns auf dem Marktplatz, in der Hand ein Plakat gegen rechts? Tritt Gott auf die Bühne und ruft Herrn Schneider- er ist Jude- zu: Lauf weg, solange du noch weglaufen kannst? Es geht nicht nur um dein persönliches Glück, um dein Masel. Und es wird dir nicht reichen, auf die andere Seite vom Nollendorfplatz zu ziehen. Es wird dich nicht schützen; auch dein „ich bin doch Deutscher“ nicht.

Da ist viel, was dir zu einer Gefahr werden kann; auch Teile deiner Identität: dein jüdisch Sein, dein Migrationshintergrund, dein geflohen Sein. Und mach dir nichts vor, auch dein -was -interessiert- mich- denn- die- Politik wird dich nicht schützen; auch nicht dein es -geht- vorbei. Nichts geht vorbei. Alles ist da.

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken. Und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht Gott. Nein, Gott lässt sich nicht vereinnahmen. Aber auch nicht hinausdrängen. Denn Gott will dieses Leben- für und mit uns. Wachstum und Gedeihen, der Kreislauf der Natur- Leben, so kostbar und Leben, das für alle Raum bietet. Nicht nur Überleben, sondern Lebensfreude und Frieden: Denn ihr sollt in Freude ausziehen und in Frieden geleitet werden. Es geht um ein Nach-Hause-Kommen in eine Welt, in der Leben gelingen kann; in der ein Mensch dem anderen hilfreich zur Seite steht.       Das klingt für mich gerade wie ein Traum… Und ich weiß nicht, ob er sich je erfüllen wird.

Weder für die Propheten noch für Jesus gibt es eine Aufspaltung des Lebens. Leben ist immer das gesamte Leben. Gottes Wort meint alles- und nicht nur meine Innerlichkeit, nicht nur meine Seele. Und es hat alle im Blick. Gottes Wort ruft uns in die Verantwortung- nicht gegeneinander, sondern miteinander und ohne Grenzen. Es fällt nicht vom Himmel, sondern will gesucht und gefunden werden.

Aufstehen gegen rechts. Gegen Hetze und Gewalt. Für ein Leben, das alle im Blick hat. Das auf die Schwächsten Rücksicht nimmt. Schutzräume bietet. Aufstehen für Gerechtigkeit. Für Demokratie.

Der größte Teil meines Lebens war Demokratie eine Selbstverständlichkeit für mich. Heute empfinde ich sie als etwas sehr Kostbares und Verletzliches und auch Verletztes.

Was aber ist mit denen, die mit dem Begriff Demokratie nichts anfangen können? Weil sie Demokratie als etwas erleben, in dem ihre Fragen, Sorgen und Bedürfnisse keinen Platz haben? Weil Demokratie für sie ein Luxusartikel derer ist, die gut abgesichert es sich leisten können? Oder anders gefragt: haben wir die Menschen aufgegeben, die meinen, populistische Parteien könnten ihre Interessen besser vertreten als demokratische? Hören wir denn ihre Stimmen? Sind wir bereit, mit ihnen auf Augenhöhe zu sprechen und zu leben? Sind wir bereit loszulassen, was unser Leben vielleicht nicht wunderschön macht, was uns aber zumindest abpolstert?

Das Prophetenwort eines Jesaja ist radikaler, als wir uns einzugestehen wagen. Der Oxfam- Bericht 2024 und Jesajas Analyse der damaligen Gesellschaft sind erschreckend ähnlich: die Polarisierung in abstrusen, geradezu obszönen Reichtum auf der einen Seite und bitterer Armut auf der anderen, verbunden mit Ausgrenzung aus politischer, sozialer und kultureller Teilhabe. Der Prophet hatte in seiner Gesellschaft Mechanismen, aber auch Personengruppen vor Augen, die diesen Zustand wollen und von ihm profitieren. Diese greift er an.

Ich sehe heute unsere Aufgabe als Kirche auch darin, zu denen zu gehen, die sich zum größten Teil auch bei uns als Kirche nicht mehr gesehen fühlen und schon gar als Teil. Nicht um Almosen geht es, sondern darum, gemeinsam zu leben.  Nicht nur von Zuversicht zu sprechen, sondern Hoffnung zu teilen. Als Jesus damals durch die Dörfer zog in einem besetzten Land, da waren seine Taschen leer, aber sein Herz voll. Er hat sich einladen lassen und sein Herz geöffnet. Er hat auch mit den Menschen geredet, aber vor allem hat er ihnen gelebt und ihr Leben geteilt.

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht Gott. Aber es ist auch nicht so schwierig, Gottes Wegen nachzuspüren: den Weg der Gerechtigkeit und des Friedens.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. 


- Pastorin
Nicola Nehmzow 

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