24/01/2025 0 Kommentare
Von Wasser und Güte. Predigt von Pastorin Margrit Wegner
Von Wasser und Güte. Predigt von Pastorin Margrit Wegner
# D | Predigten

Von Wasser und Güte. Predigt von Pastorin Margrit Wegner
GEWÄSSERGÜTEMESSSTATION ist ein sehr deutsches Wort, liebe Gemeinde. Ein Wort, 23 Buchstaben, Ä und Ü, fünf S, vielen Konsonanten, perfekt für Scrabble. Dies Wort, eigentlich vier Worte, kann man sich auf der Zunge zergehen lassen: Gewässer-Güte-Mess-Station. Neulich bin ich darauf gestoßen. Da, wo die Elbe die deutsch-tschechische Grenze passiert. Oder übertritt, überfließt? Wie sagt man das bei Wasser, das immer im Fluss, in Bewegung, veränderlich ist? An der Grenze wird alles erforscht, Lufttemperatur, Globalstrahlung, Sauerstoff und Leitfähigkeit, Trübung und organische Verbindungen.
Wassergütemessungen, damit bin ich aufgewachsen. Als Tochter eines Naturwissenschaftlers bin ich großgeworden mit Wasserschöpfern, Salzgehalten und Temperaturtabellen. Ich habe von klein auf gelernt: Das können Mädchen genauso wie Jungs. Alle Kinder dürfen lernen und studieren, was sie interessiert. In der Schule wurde das gefördert. Mädchen sollten sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Denn das Frauen Männern das Wasser reichen können in allen Bereichen, ist selbstverständlich. Oder?
Um Wassergüte geht es auch im Predigttext. Nicht im deutsch-tschechischen, sondern im galiläisch-samaritanischen Grenzgebiet. Dort ist keineswegs alles im Fluss. Dort herrschen klare Trennlinien, unsichtbare gläserne Decken und Wände, würden wir sagen. Unüberbrückbare Gegensätze zwischen Menschen in der jüdischen und der samaritanischen Glaubensblase. Die spinnen, die Judäer mit ihren Studien und Schriften. Die Samaritanerinnen kapieren nicht, dass unsere Art zu glauben die richtige ist. Unversöhnlich. Die einen schauen nach Jerusalem, die anderen haben ihren heiligen Berg. Beide Seiten bleiben unter sich und bestärken sich jeweils in ihrer Meinung. Nur am Wasser können treffen sie sich.
Jesus ist im Grenzgebiet auf Durchreise. Hat sich mit den Vertrauten vor möglicher Verfolgung in Jerusalem abgesetzt. Unterwegs kam er nach Sychar, einem Ort in Samarien. In seiner Nähe liegt das Grundstück, das Jakob einst seinem Sohn Josef vererbt hatte. Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Jesus war müde von dem langen Weg und setzte sich an den Brunnen. Es war um die sechste Stunde. Mittagszeit also. Höchsttemperaturen. Staubig und heiß. Da kam eine Samariterin, um Wasser zu schöpfen. Jesus bat sie: »Gib mir etwas zu trinken.« Seine Jünger waren nämlich in den Ort gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen. Da sagte die Samariterin zu ihm: »Du bist ein Jude, und ich bin eine Samariterin. Wie kannst du mich um etwas zu trinken bitten?« Denn die Juden vermeiden jeden Umgang mit Samaritern.
Das geht nicht. Das ist doppelt, dreifach grenzüberschreitend. Mann und Frau unter vier Augen öffentlich am Brunnen, das ist unmöglich. Dazu: Ein Jude und eine Samariterin haben nichts miteinander zu schaffen. Kontaktaufnahme zwischen dem Mann, einem Rabbi, und einer Frau, ist nicht gestattet. Eine Frau kann einem Mann nicht das Wasser reichen. Wie kommen beide aus der Geschichte heraus? Aber sie steigen beide nicht aus, sondern nur tiefer ein. Das macht die kleine Begegnung groß. Auf das erste Gesprächsangebot, die Bitte um Wasser, geht die namenlose Samariterin nicht ein. Sie könnte Wasser schöpfen und sich stumm zurückziehen. Doch sie sagt selbstbewusst, wer sie ist und wofür sie steht. Jesus antwortete: »Wenn du wüsstest, was für ein Geschenk Gott den Menschen macht und wer dich hier bittet: Gib mir etwas zu trinken! – dann würdest du ihn bitten, und er würde dir lebendiges Wasser geben!«
Da kommt jetzt die Wasserqualität und Güte ins Spiel, liebe Gemeinde. So, dass es sich im Deutschen schwer nachahmen lässt. Jesus sagt nicht einfach von oben herab von Mann zu Frau: Gib mir Wasser. Er stellt keine Forderung, sondern spricht in einem besonderen Fall, im Irrealis. In der Möglichkeitsform: Wenn du wüsstest, dann würdest du. Jesus eröffnet einen Möglichkeitsraum, eine neue Wirklichkeit: Es könnte auch alles ganz anders sein. Doch wo Menschen in unterschiedlichen Blasen, Gemeinschaften, Gruppen leben, sprechen sie oft nicht dieselbe Sprache, auch wenn sie dieselben Worte haben. Lebendiges Wasser ist schließlich alles, was fließt. Was ist besonders, die Temperatur, die Trübung, die organische Verbindung? Die Frau steigt auf Augenhöhe ein in das Gespräch mit dem fremden Mann. Er ist auf sie angewiesen, auf ihre Hilfe, aber sie nicht auf ihn. Sie verweist selbstbewusst auf die Abstimmung ihrer Gemeinschaft, die der ihres Gegenübers mindestens gleichwertig ist. Die Frau erwiderte: »Herr, du hast nichts, um Wasser zu schöpfen, und der Brunnen ist tief. Woher hast du denn dieses lebendige Wasser? Bist du etwa mehr als unser Stammvater Jakob? Er hat uns diesen Brunnen hinterlassen. Er selbst hat daraus getrunken, ebenso seine Söhne und sein Vieh.« Sie lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen. Das Wasser, das sie täglich holt, hat Geschichte. Schon die Gründungsväter und -mütter waren hier, bitte sehr. Allererste Güte. Verbindungen, die schwer zu überbieten sind. Darauf antwortete Jesus: »Wer von diesem Wasser hier trinkt, wird wieder Durst bekommen. Aber wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, wird nie wieder Durst haben. Denn das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle werden: Ihr Wasser fließt und fließt – bis ins ewige Leben.«
Der Jakobsbrunnen im Samaritanischen Sychar wird damit zu einer Gewässergüte-messstation ganz eigener Art. Grenzen werden fließend. Das Wasser im Brunnen mag gut sein, besser als andere Quellen. Aber Jesus hat etwas zu bieten, das neue Qualität hat. Es leitet. Ungetrübt. Erhält nicht nur den Alltag aufrecht. Löscht nicht nur quälenden Durst in der Mittagshitze. Es ist mehr ist als Lebensgrundlage und Lebensmittel. Dieses Wasser des Lebens stillt allen existentiellen Durst und den Hunger nach Leben für immer und ewig. Jetzt ist raus: Hier ist der Zugang zu allem, was Menschen brauchen. Hier ist das Leben selbst. Wer von diesem Wasser trinkt, wird nie wieder Durst haben. Das Wasser von Jesus wird in ihm zu einer Quelle werden: Ihr Wasser fließt und fließt bis ins ewige Leben.
Da ist Schluss. Jetzt können die Jünger vom Einkaufen zurückkommen, die Frau würde sich zurückziehen, wie es sich schickt, und wir könnten den letzten Satz weiter bedenken oder auch nicht. Der Predigttext ist zu Ende. Wir stehen enttäuscht und sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen (Bert Brecht).
Aber die Frau verschwindet nicht. Sie bleibt nicht stumm, bewegt nicht nur Worte in ihrem Herzen, sondern sie wird aktiv. Sie kommt ins Handeln. Die Geschichte geht weiter: Da bat ihn die Frau: »Herr, gib mir dieses Wasser! Dann habe ich nie mehr Durst und muss nicht mehr herkommen, um Wasser zu schöpfen.« Jetzt geht das Gespräch erst wirklich los, jetzt geht es um alles und um die Liebe, aber das wird nicht gespoilert. Das müssen Sie selber lesen. Nur so viel: Als die Jünger zurückkommen, sind sie ziemlich erstaunt, mit wem Jesus redet und wie. Die Frau selber ist so ergriffen, dass sie – nicht die Jünger! – allen im Ort erzählt, wer Jesus ist. Das macht die Samariter:innen so neugierig, dass sie Jesus bitten zu bleiben. Einen Juden, einen Gegner, einen Feind! Aber die direkte Begegnung verändert etwas. Empathie und Verständnis sind möglich. Als Jesus schließlich weiterzieht, sind aus der kurzen Mittagspause am Brunnen zwei lange Tage geworden. Die Menschen, die ihn erlebt haben, hat seine Güte, seine barmherzige Art verändert und überzeugt. Jetzt wissen wir: Er ist wirklich der Retter der Welt, sagen sie (Joh. 4, 42).
Wasser des Lebens und Brot, das mehr als Hunger stillt. Manches lässt sich messen. Die Güte aber, die hinter diesem Angebot steht, geht über Worte und Werte hinaus. Die lässt sich nicht berechnen oder in Tabellen ausdrucken. Die kann man sich nur auf der Zunge zergehen lassen. Und diese Güte macht mutig. Ermutigt die Frau am Brunnen. Ermutigt die Bischöfin auf der Kanzel in Washington, dem mächtigsten Mann der Welt an Gottes Gnade und Güte zu erinnern. Wer von dem Wasser trinkt, das ich euch gebe, wird nie wieder Durst haben. Es wird in euch zu einer Quelle werden: Ihr Wasser fließt und fließt – bis ins ewige Leben.« Schmeckt und seht, wie freundlich er ist. Die Geschichte ist nicht zu Ende. Die Geschichte geht weiter. Mit uns. Mit einfachen Mitteln. Mit dem, was da ist. Über Grenzen und Gräben hinweg. Esst vom Brot des Lebens. Trinkt vom Kelch des Heils. Kommt, es ist alles bereit. Amen
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