08/03/2025 0 Kommentare
Zugängliche Gnade - Predigt von Pastor Martin Klatt zum 1. Sonntag in der Passionszeit "Invokavit"
Zugängliche Gnade - Predigt von Pastor Martin Klatt zum 1. Sonntag in der Passionszeit "Invokavit"
# D | Predigten

Zugängliche Gnade - Predigt von Pastor Martin Klatt zum 1. Sonntag in der Passionszeit "Invokavit"
Predigttext: Hebräerbrief 4, 14-16
Es war spätabends, als K. ankam. Das Dorf lag im tiefen Schnee. Vom Schlossberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloss an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die scheinbare Leere empor.
Mit diesen Worten beginnt Franz Kafkas Roman „Das Schloss“. Die Hauptperson des Romans ist der angebliche Landvermesser K. Sein Ziel ist das Schloss, aber er kann sich merkwürdigerweise dem Schloss nicht nähern. So sehr er sich auch bemüht – etwas hält ihn fern. Wie ein rätselhafter Bann. Die Behörden, mit denen er in Verhandlung tritt, weisen ihn ab. Sie halten ihn fern, statt ihm einen Zugang zu ermöglichen. Etwas Düsteres, Wegloses liegt über dem Ganzen.
‚Was bedeutet das Schloss?’ fragt der Schriftsteller Max Brod, als er das unfertige Manuskript herausgibt, und vermutet: ‚Dieses Schloss, zu dem K. keinen Zutritt erlangt, dem er sich unbegreiflicherweise nicht einmal richtig nähern kann, ist genau das, was die Theologen Gnade nennen.’
Gnade – Kostbarkeit in der Schatzkiste der Gottes-Worte. Wort, in dem zusammenfindet, wer Gott ist: Barmherzig und gnädig ist Gott, geduldig und von großer Güte. (Ex 34; Ps 103 u.ö.) Die Worte legen sich zusammen und legen sich gegenseitig aus. Vierfach – wie ein Kleeblatt. Alles Gute beieinander. Gottesglück. Glücklich, wer’s findet. Gnade – Wort, nicht nur zu beschreiben, was Gott schenkt. Gnade ist Geschenk.
Sie kennt die Worte alle. »Du bist Gottes geliebtes Kind.« Sie weiß um ihre Bedeutung. »Gott sieht dich. Gott sieht dich freundlich an.« Sie hört sie gerne, und sie sind in ihrem Kopf. »Du genügst. Du musst dein Da-Sein nicht rechtfertigen. Da sein genügt.« Aber da gibt es eine Tür, und die öffnet sich nicht. Sie findet einfach keinen Zugang, so dass es ins Herz geht, dass es sie erfüllt und sie sich ins Glücklichsein, das Gottesglück, fallen lassen kann. Sie hört die Worte – und spürt es nicht. Dann erschrickt sie, fragt sich wieder, was falsch sein könnte mit ihr, und kann es doch nicht ändern. Sie geht in einen Gottesdienst. Sie erlebt neben sich diejenigen, denen das alles etwas sagt, aber das Gefühl der Leere in ihr geht nicht weg. Sie fühlt sich wie ausgeschlossen, vor einer verschlossenen Tür und kommt nicht rein.
Am Morgen nach seiner Ankunft sieht K. ‚oben das Schloss deutlich umrissen in der klaren Luft...’ Aber nie gelingt es ihm, näher an das Schloss heranzukommen. ‚Die Straße nämlich ... führte nicht zum Schlossberg, sie führte nur heran, dann aber, wie absichtlich, bog sie ab, und wenn sie sich auch vom Schloss nicht entfernte, so kam sie ihm doch auch nicht näher.’
Die Worte Gnade? Steht da. Groß und ehrwürdig. Schon seit Menschengedenken. Wir können es anschauen, umschreiben. Und trotzdem bleibt das Wort bloßes Wort nur, erschließt sich nicht, eigentümlich unzugänglich – wie eine zu Stein gewordene Erinnerung aus einer vergangenen Zeit. Kann das sein?
Geht es alten und jungen Menschen, Männern und Frauen, ja Glaubenden und Nicht-Glaubenden so, wie K. es am Abend seiner Ankunft erlebt? ‚Nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein; er blickte in die scheinbare Leere empor.’
Diese Leere ist gnadenlos. Und die immer neuen Anläufe, die alle vergeblich enden, sind es auch. Gnade wäre, einen Zugang zu finden, eine offene Tür und einen Weg. Gnade wäre es, zur Ruhe kommen zu können. Gnade ist Ankommen, Heimkommen, Aufatmen. Das wäre fast schon Himmel.
Warum finden Menschen keinen Zugang zu dem, was Gnade ist – oder auch zu dem Gott, der Gnade ist? Eine Antwort darauf ist: Leiden. Das Leiden stellt sich in den Weg.
Wie ist das Leiden von Menschen mit Gott zusammenzubringen und mit seiner Gnade? Das eigene Leiden und das der anderen. Die Gnadenlosigkeit der täglichen Nachrichten. Jeden Tag so viele Menschen, brutal und sinnlos ums Leben gebracht. Keine Erholungspausen für die Seele gerade.
Und dann das Leiden unter den anderen: gemobbt, runtergemacht, ausgelacht, nicht verstanden, sich nicht einmal Mühe gegeben, gar nicht gesehen. Und das Leiden an uns selbst. Warum bin ich so – so geworden? Warum bin ich nicht so, wie ich gerne sein möchte? Leiden. Allgegenwärtig. Das Leiden der Menschen und das Leiden der Kreaturen. Das Leiden, das keiner sieht und das Leiden, das vor aller Augen ist. Das Leidige, das uns einen Tag verdunkelt. Das Leiden, das wie ein Schatten über der Welt liegt.
Warum ist das so Gott erklär es mir
dass manche geliebt werden und manche nicht …
ich versteh es nicht
und Du?
Was Du damit zu tun hast und ob überhaupt
und wie es für Dich ist so viel Schmerzen zu sehen
und warum Du manchmal so weit weg zu sein scheinst
kannst Du mir das erklären?
Wie ist das denn nun mit deiner Allmacht Gott
und mit dem letzten Wort das Du versprochen hast
und wieso nicht schon jetzt und wann denn endlich
und worum geht es überhaupt in diesem seltsamen Leben?
Antwort erbeten (Carola Moosbach)
Aus dem Hebräerbrief im 4. Kapitel:
Weil wir einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum lasst uns freimütig hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit.
Der Apostel greift das Bild auf von dem großen Tag der Gnade des Volkes Israel, vom großen Versöhnungstag. Die Schuldzusammenhänge werden durchbrochen. Vergebung geschieht. Gottes Gnade wird wieder zugänglich.
In Christus, sagt er, ist das Wirklichkeit geworden. Ein für alle Mal.
Im Bild gesprochen: Es gibt einen Zugang zum Schloss. Er ist nicht nur da, sondern er steht sogar offen. Gekommen ist der, der in Kafkas Roman fehlt. Gekommen ist einer, der selber aus dem Schloss kommt, vom Thron steigt und ins Dorf hinuntersteigt, um K. und uns abzuholen und in das Schloss zu führen. Er hat die Himmel durchschritten, um in der Tiefe bei den Menschen zu sein. Christus.
Der Bann ist gebrochen. Lasst uns also hinzutreten!, sagt der Apostel. Wir werden das Erbarmen Gottes, ihre Geduld, seine große Güte erfahren. Wir werden Gnade finden – und uns in ihr. Und es wird uns geholfen, dann wenn wir es am nötigsten brauchen. Christus ist der Eine – Wegbereiter und Weg, die offene Tür. (Joh 14; Joh 10)
Was ihn dazu befähigt, Zugang zu Gottes Gnade zu schaffen, ist – so die Antwort des Hebräerbriefes: Leiden.
Sympathein steht da. Seine Sym-Pathie, sein Mit-Leiden mit uns, seine Mit-Leidenschaft für uns.
Was Leiden ist, hat er am eigenen Leibe gespürt. Er weiß, wie einem dabei zumute ist. Er kommt uns nicht von oben herab. Er versteht von innen heraus. Er weiß, was Schwachsein ist. Er kennt die Anfechtung, die Versuchung, gnadenlos zu werden, Gott beiseite zu lassen und andere Wege zu gehen im Leben. Er hat sich all den Fragen ausgesetzt, die manchmal in uns nagen: Was bringt das denn, auf Gott zu bauen? Was ändert sich, wenn man ihm vertraut? Wenn es Gott gibt, wieso sieht die Welt dann so aus, wie sie aussieht? Wo ist sie denn – die Gnade?
Am Ende, am Kreuz, hat er Gott nicht mehr gespürt, als er schrie: Warum? (Mt 27, 46) - Antwort erbeten.
In Gottesdienste mag sie gerade nicht gerne gehen. Zu viele Worte. Aber manchmal kommt sie hierher, setzt sich in eine Reihe und schaut auf das große Kreuz. Sieht all das Leiden – und die ausgebreiteten Arme.
Einer, der starb, wie er lebte, und lebt, wie er starb: mit ausgebreiteten Armen.
Was Jesus für mich ist? - Einer der für mich ist.
Was ich von Jesus halte? - Dass er mich hält. (L. Zenetti)
Der Christus am Kreuz hält für sie zusammen, was sie nicht zusammenbringen kann: den gnädigen Gott und diese Welt, die in ihrer Sinnlosigkeit einem den Glauben an alles rauben kann.
Er spricht zu ihr: Du musst dich nicht schämen – nicht deiner vielen Fragen, deiner Skepsis, nicht deiner Müdigkeit, nicht deiner Leere – nicht vor mir.
Ob das genug ist, fragt sie sich manchmal. Aber wenn sie auf das Kreuz schaut, kann sie es aushalten mit sich und mit der Welt und mit all den offenen Fragen. Vielleicht ist das Gnade. Ihr kleines Stück von der großen Gnade.
Lasst uns hinzutreten zum Thron der Gnade!
Hier ist der Tisch des Herrn. Abendmahl. Gott hält sein Mahl mit uns. Es ist das Mahl der Stärkung für die müde Gewordenen, für die Suchenden, für die Verwundeten an Leib und Seele, damit wir alle Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.
Und wann hätten wir das nicht?
AMEN.
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